Die Redensart “Papier ist geduldig” drückt aus, dass man praktisch alle Gedanken Ideen usw. darauf schreiben kann, und es dabei dem Papier egal ist, was auf Ihm geschrieben steht, ob es nun vollkommen blödsinnig ist oder nicht. Geduldig hat hier primär mit “dulden” zu tun: Als bloßes Material duldet Papier alles, was mit ihm gemacht wird, es hat nicht die Fähigkeit, darauf bzw. dagegen zu reagieren. Im Klartext: Schreiben bzw. drucken kann man alles, auch den allerletzten Unfug oder Mist.
Dieser Satz kam mir in den Sinn, als ich die Ausstellung “The World on Paper” der Deutschen Bank im Palais Populaire betrachtete: Von namhaften Künstler wurden wilde Krakeleien bzw. infantile Zeichnungen präsentiert. So beglückte mich Gerhard Richter mit Blätter wilder Farbklekse bzw. Pennälerzeichnungen seines Schreibtisches. Andere – mir weniger bekannte – Künstler verrichteten in Fleißarbeiten Strichzeichnungen zu dekorativen Mustern, die jeder Fototapete zur Ehre gereichen würden. Und es gab Minimalisten, denen es zum Beispiel reichte lediglich eine Heftklammer auf dem Blatt zu befestigen.
Hervorheben im positiven Sinn möchte ich den Bilderzyklus von Jörg Immendorff zur Biennale von Venedig. Das Jahr 1976, als er an der Biennale in einer Gruppenausstellung in den Ex-Cantieri teilnahm, markierte einen Wendepunkt in seinem künstlerischen Schaffen hinzu zum Vertreter einer neuen, sich politisch verstehenden Historienmalerei. Dort verteilte er einen Redetext, in dem er für internationalen Künstleraustausch und gegen das antidemokratische System in der DDR protestierte. Im selben Jahr begann eine Freundschaft mit dem damals noch in der DDR lebenden und dort offiziell verpönten Künstler A. R. Penck. In der ausgestellten Bilderserie richten sich seine Vorbehalte aber nicht nur gegen die DDR, sondern auch gegen die Bundesrepublik: So wird in einer Zeichnung deutlich Kritik an der zur damaligen Zeit verabschiedeten Terroristengesetzgebung, hier der
Paragraph 88a (Verfassungsfeindliche Befürwortung von Straftaten) und der Rolle der SPD geübt.
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Peter Lachmann
Au weia ! So streng wie der Herr Leppin bin ich nicht, obwohl ich ebenfalls deutliche Probleme mit “abstrakter Kunst” habe. ( Z.B.:Was an einem real gezeichneten Bleistiftanspitzer (G. Richter) abstrakt sein soll erschloss sich mir nicht. Oder: Was will man mit zwei schwarzen Strichen auf einem weißen Blatt ausdrücken? ) Andererseits kann alles nicht oder nicht sofort erkennbare zu “abstrakter Kunst” erklärt werden, vom Künstler, vom Galeristen, von Kritikern, vom Kurator… Manches Werk wirkte wie ein Tapeten- oder Handtuchentwurf – sonderbar! Andererseits: Viele bekannte zeitgenössische Künstler waren ausgestellt, ein kleiner Einblick in die zeitgenössische Szene war so möglich.