Der Besuch der Galerie Bastian war für mich in vielerlei Hinsicht ein sehr beeindruckendes Ereignis: Die Familie Bastian hat, nachdem sie 2019 ihr Galeriehaus Am Kupfergraben in Berlin Mitte der Stiftung Preußischer Kulturbesitz geschenkt hatten, auf einem Grundstück in der Dahlemer Taylorstraße ein neues Galeriehaus errichten lassen. Die Architektur wurde von John Pawson entworfen, aktuell einer der bedeutendsten Architekten, der in der Reduktion seiner Entwürfe Einfachheit als Vollkommenheit anstrebt. Nach meinem Eindruck ist ihm dies bei diesem Gebäude perfekt gelungen.
Mit der Eröffnungsausstellung ANSELM KIEFER – LE DORMEUR DU VAL setzt nun die Galerie Bastian ihr Ausstellungsprogramm in Berlin wieder fort. Kiefer bezieht sich in seinen jüngsten Arbeiten auf Gedichte aus dem 19. Jahrhundert und der Moderne, besonders auf Arthur Rimbauds „Der Schläfer im Tal“. Erstmals werden hier die in seinem Atelier bei Paris in der Pandemiezeit entstandenen vier großflächigen Gemälde gezeigt.
Jedes dieser vier Werke erzählt eine Geschichte und lädt zum längeren Verweilen ein, wo man immer neue Dinge entdeckt und Phantasien entwickelt. Mich persönlich sprach das Gemälde „Eros und Thanatos“, das einen gleich am Eingang empfängt, am meisten an. Der Titel verweist auf die beiden Gottheiten in der griechischen Mythologie Eros, den Gott der Begierde und der leidenschaftlichen Liebe, und Thanatos, den Gott des Todes. Dessen Charakterisierung ist zwiespältig: Er wird einerseits als unerbittlich beschrieben, als einer, der mit eisernem Herzen keine Gnade kennt. So schneidet er den Todgeweihten er mit einem Messer eine Locke ab. Aber im Gegensatz zu seiner Schwester Ker, die den grausamen Tod verkörpert, steht Thanatos für den sanften Tod.
In der Moderne versetzte Sigmund Freud das ungleichen Paar Eros und Thanatos in seiner Schrift „Jenseits des Lustprinzips“ in die Psyche des Menschen: Lieben und Sterben sind nun keine übernatürlichen Gewalten mehr, denen der Mensch ausgesetzt ist, sondern ihm innewohnende Kräfte: Eros der erhaltende Lebenstrieb und Thanatos der destruktive, zerstörerische Todestrieb. Während der Eros nach Zusammenhalt und Vereinigung tendiere, strebe der Todestrieb nach Auflösung dieser Einheit, nach Verstreuung und Auflösung von Bindung. Im Normalfall gehen laut Freud Todes- und Lebenstrieb jedoch eine Verbindung ein, eine Störung des Gleichgewichts der beiden Tendenzen führe dagegen zu psychischer Erkrankung.
In Kiefers Werk symbolisieren das Kornfeld, erhaben auf die Leinwand aufgetragen, und die Sense, als Realobjekt in das Gesamtwerk integriert, diese beiden Kräfte. Deren Symbiose wird durch die im Vordergrund schon geschnittenen Ähren deutlich. Die bedrohlich herausragende Sense ist dabei notwendig, um die Feldfrüchte zu ernten, die schließlich in lebenserhaltendem Brot münden. Insofern wird hier die von Freud entwickelte Beziehung beider Pole veranschaulicht und Notwendigkeit einer Balance im Leben verdeutlicht.
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Peter Lachmann
Auch ohne die Griechische Mythologie eindrucksvoll. Das “intellektuelle Gerüst” verhindert eher sofortige eigene Assoziationen.
Ich frage mich, für wen der Künstler Werke dieser Ausdehnung fertigt. Gleich für Museen, Galerien ( Banken, Versicherungen )?