Bildende Kunst

Mein Fazit: Mosel-Camino

Was bleibt von einer solch anstrengenden, aufbauenden, euphorisch stimmenden Wanderung!?

Als ich mir das Fazit des letztjährigen Pilgerwanderung entlang des Rheins durchlas, konnte ich feststellen, dass ich die dort angesprochenen Gefühle und Eindrücke nur wieder bestätigen kann. Wobei ich denke, dass ich sie bei der diesjährigen Wanderung noch ausgeprägter und intensiver erlebt habe.

Da wäre zum einen der angesprochene Stolz, diese Wanderung geschafft zu haben. Die Bewältigung von knapp 180 km, davon 168 km Camino, in 9 Tagen erfüllten mich auch diesmal mit Stolz, zumal ich mittlerweile ein Jahr mehr auf dem Buckel habe. Auf der anderen Seite spürte ich eine gewisse Leere, als wir in Trier ankamen, vielleicht mit dem Gefühl, und was folgt jetzt?

Zwar war es diesmal eine längere Strecke mit mehreren Abschnitten, jedoch waren die zurückgelegten Kilometer pro Etappe in der Regel nur geringfügig länger. Auch waren die Pilgerwege nicht anstrengender, die zu bewältigenden Höhenunterschiede, die ständige Wanderung zwischen Berg und Tal, waren durchaus vergleichbar. Worin ein Unterschied liegt war die Intensität und die teilweise Fremdbestimmung, mit der wir diese Strecken zurücklegen sollten / mussten. Zwar hatten wir wettermäßig, verglichen mit der Situation in benachbarten Gegenden, durchaus noch Glück im Unglück, aber insgesamt hatten wir mit Widrigkeiten und Ungewissheiten, sprich Regen in all seinen Variationen zu kämpfen. Dies diktierte zum einen die Zeit des Aufbruchs, zum anderen aber auch die Intensität, wie wir diese Wege zurücklegten. So sind wir auf der letzten Etappe 20 km ohne nennenswerte Pause gewandert, weil Regenschauer für den späteren Nachmittag angesagt waren. Dass dies nicht eintrat, war nur ein schwacher Trost.

Im Hinblick auf meine körperliche Konstitution glaube auch gespürt zu haben, dass ich durch meine vorherigen Walking Erfahrungen besser in Form war, sodass mir zum Beispiel die steilen Aufstiege weniger Schwierigkeiten bereiteten und ich nicht am Gipfel zum Luftholen stehen bleiben musste. Ich bin weit davon entfernt. jetzt größenwahnsinnig zu werden und noch längere Strecken, geschweige denn den Camino de Compostela, in Angriff zu nehmen. Aber es ist durchaus in meinem Bedürfnis, mich recht bald wieder auf eine Pilgertour zu begeben, möglichst natürlich mit meiner Frau.

Ich habe vor allem (wieder) ein anderes Gefühl für Geschwindigkeit, Schnelligkeit, Vorwärtsbewegung bekommen. Auf dieser Reise haben wir uns so vorwärts bewegt, wie es natürlich ist, wir nutzten keine Hilfsmittel, keine mechanischen, geschweige denn motorischen Hilfsmittel. Mir kamen die anderen Menschen im Tal, die ich von oben beobachtete, irgendwie unnatürlich vor. Ich merkte, dass Schnelligkeit kein Wert an sich ist, dass ich nicht langsam bin, sondern angemessen menschlich mich fortbewege. Die ganze Absurdität wurde für mich deutlich, als ich von den Gipfeln der Eifel auf die wunderbar angelegten Radwege hinunterschaute, die parallel zur Mosel und der Bundesstraße verliefen. Sehr viele Menschen bewegten sich dort vorwärts, häufig im perfekten Outfit, etliche vermutlich auch in meinem Alter und entsprechend mit der entsprechenden Technik ausgestattet, nämlich einem E-Bike. Für mich hatte dies Assoziationen an die SUV Autofahrer; wozu braucht man ein E-Bike auf einer schnurgeraden Strecke, auf der es kein einziges Hügelchen zu bewältigen gab? Wahrscheinlich doch nur um noch mehr Kilometer zu bewältigen, es geht dann gar nicht mehr um das Betrachten der Landschaft, sondern um das Bewältigen einer bestimmten Strecke.

Mir wurde auch bewusst, dass ich einen völlig anderen Blick auf die Landschaft bekommen habe, indem ich von den Gipfeln auf das Tal hinunterschaute, eine Möglichkeit die all den Autofahrern und Fahrrad- und Motorrad-Bikern verborgen bleibt. Mir war es möglich, die Täler und die Berge in ihrer Totalität zu sehen, zu erfassen und zu genießen. Sicher können diese Touristen die Gegend der Mosel von Seite zu Seite betrachten, aber der Blick für das Ganze bleibt ihnen irgendwie verwehrt.

Die im letzten Fazit angesprochene Zerstörung der Umwelt und der natürlichen Ressourcen sehe ich nach diesem Camino noch viel radikaler und dramatischer. Das mag zum einen an den vorgefundenen Bedingungen / Situationen liegen, zum anderen auch an meinem Bewusstsein stärker auf diesen Aspekt zu achten. Drei Umweltsünden sind mir besonders prägend im Bewusstsein haften geblieben:

Da wäre zunächst der Wein, genauer gesagt der Weinanbau, der dieses Tal prägt. Wir konnten bei unseren Wanderungen sehen und erfahren, dass fast sämtliche Südhänge der Mosel mit Rebstöcken verbaut sind. Dies mag vom Tal aus sehr nett aussehen und kommt auch dem Bedürfnis vieler Menschen, den berühmten Riesling zu trinken, entgegen, aber es zerstört die natürliche Vegetation. Erst als wir die Gipfel erreicht hatten, etwa in 400 Metern Höhe, sahen wir noch ausgedehnte Wälder und vor allem zahlreiche bewirtschaftete Landflächen, Getreide in allen Variationen. Darüber hinaus wird der Weinanbau nichtterrassierter Form vorgenommen, sondern vielmehr auf Steilhängen. Man braucht kein Fachmann zu sein, um sich vorzustellen, was passiert, wenn es zu (starken) Regelfällen kommt, eine Bodenerosion mit all seinen verhängnisvollen Folgen.

Hinzu kommt noch ein weit dramatischerer Aspekt, die Nutzung von Pestiziden. Wir entdeckten auf unsere Wanderung an zahlreichen Rebstockhängen ein Schild mit dem Hinweis, dass zu bestimmten Zeiten ein Hubschrauber Pestizide abwerfen werde und man als darauf achten sollte. Man könne die entsprechenden Daten erfragen bzw. anhand des aufgedruckten QR-Codes auf sein Handy laden. Abgesehen davon, dass dieser Breitbandbekämpfung mit Pestiziden höchst fragwürdig ist, frage ich mich, wie man guten Gewissens einen Moselwein als ökologischen Ökowein bezeichnen kann, wenn breitflächig auf anderen Flächen Pestizide genutzt werden.

Die schon im vorherigen Fazit angesprochene Zerstörung der Umwelt durch zahlreiche Straßen habe ich auf dieser Wanderung noch dramatischer vorgefunden. Extrem erlebten wir es bei Schweich, wo zwei Autobahnen durch das Tal geführt werden, zuvor wurde eine gigantische Autobahnbrücke über ein Nebental gespannt. Abgesehen von diesen monströsen Bauwerken, die eine eigentlich malerische Landschaft zerstören, ist es der darauf stattfindende Verkehr, der neben der Schadstoffbelastung, wie den CO2 Ausstoß, vor allem aber auch zu mit einer heftigen Lärmbelästigung verbunden. Ich erinnere mich dabei an eine Situation, in der als auf einer leeren Landstraße ein Motorrad entlangfuhr. Den Lärm dieses Fortbewegungsmittel konnte ich über mehrere Minuten hinweg weiter hören.

Mir kamen als Assoziation Fotos einer australischen Künstlerin in den Sinn, die auf ihren Fotos von Landschaften all die Dinge entfernt hatte, die von Menschenhand geschaffen worden waren. Es war ein sehr beeindruckendes und erschreckendes Resultat. Soweit möchte ich gar nicht gehen, aber ich versuchte mir vorzustellen, wie es sein würde, wenn es die Eisenbahnstrecke, die gut ausgebauten Bundesstraßen und Autobahnen samt Mammutbrücke nicht gäbe. Es wäre ein solcher Gewinn in meinen Fantasien, kaum auszumalen. Natürlich höre ich immer wieder, dass diese Transportwege notwendig seien, doch sind sie ist wirklich in diesem Ausmaß und dieser Intensität? Warum können z.B. Autos, häufig von nicht Einheimischen, bis in die letzte Gasse der kleinen Dörfer fahren? Warum können nicht mehr Güter, die von A nach B entlang des Rheins transportiert werden, nicht per Schiff vonstattengehen?

Der letzten Punkt, der mir auch in dieser Gegend aufgefallen ist, betrifft die ökonomischen und gesellschaftlichen Disparitäten, die sich in Gebieten vollziehen, die schwerpunktmäßig auf den Tourismus setzen. Bekanntlich ist die Gegend um die Mosel neben der Weinproduktion natürlich auch ein Touristenmagnet, wobei eines durchaus das andere bedingt. Mir ist im Laufe unserer Wanderung aufgefallen, dass es in dieser Hinsicht eine sehr unterschiedliche Entwicklung gibt. Auf der einen Seite haben wir Orte wie Beilstein und Bernkastel-Kues, die nach außen hin vom Tourismus deutlich profitiert haben und eine Attraktivität besitzen, die Touristen in Scharen zu diesen Orte bringt. Es ist wirklich eine Augenweide, sich den inneren Kern dieser Orte anzuschauen und dort zu verweilen. Die Ausrichtung auf diesem Bereich bedeutet aber auch, dass ein normales Ortsleben kaum noch stattfindet. So fehlen zum Beispiel die Läden für den täglichen Gebrauch und eine Ortsgastwirtschaft sucht man vergebens. Stattdessen herrschen dort Souvenirläden und Restaurants und Straußenwirtschaften vor. Was diese einseitige Ausrichtung am Tourismus bedeutet, welche Gefahren dies unter Umständen bringt, wird deutlich, wenn man sich die Folgen des letzten Hochwassers vergegenwärtigt, von dem die Mosel nur in geringem Maße betroffen war: Durch das Hochwasser sind Herbergen und Geschäfte beschädigt bzw. zerstört worden, der Tourismus brach zusammen, und viele Menschen verloren ihre Existenzgrundlagen.

Auf der anderen Seite gibt es Orte wir Klüsserath, wo nach meinen Beobachtungen und Gesprächen mit Bewohner*innen ein wirtschaftlicher und damit verbunden ein gesellschaftlicher Niedergang stattgefunden hat. Ein für mich entscheidender Punkt ist dabei für mich an der Raumgestaltung festmachen. Wenn man die Mosel als Ausgangspunkt nimmt, dann ist an deren Ufer eine riesige Fläche nur für den Camping- und Wohnmobilbereich reserviert. Diese Fläche ist jedoch nur eingeschränkt nutzbar, denn selbst bei geringem Hochwasser, wie aktuell, muss dieser Bereich geräumt werden. Daran anschließend folgt eine stark befahrene Landstraße, die auf einem Damm, vermutlich als Maßnahme gegen mögliches Hochwasser, entlang führt. Dahinter erstreckt sich erst der eigentliche Ort Klüsserath. Das bedeutet, dass sowohl die Bewohner als auch die Touristen keinen direkten Zugang zu den Fluss mehr haben bzw. größere Wege zurücklegen müssen. in Anspruch nehmen müssen, um zu den Flussufern zu gelangen. Die Folge war ein ökonomischer Niedergang gab: Geschäfte schlossen, es gibt es keinen Lebensmittelladen mehr in dem Ort, und Gaststätten schlossen, weil Touristen ausblieben. Der Slogan „Weinstadt Klüsserath“, mit dem geworben wird, reduziert sich auf eine Straußenwirtschaft, die nur am Wochenende geöffnet hat. Solche Orte sind im günstigsten Fall nur noch Schlafstätte: Die Menschen arbeiten in nächst größeren Orten wie hier ich Schweich oder Trier und kommen nur noch am Abend in diese Orte. Ihre Domizile befinden sich jedoch nicht im Ortskern, sondern eher außerhalb, vorzugsweise mit schönen (Hang)Fernsichten.

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