Mein kürzlicher Besuch in Wien ermöglichte mir die dritte Begegnung mit den Werken von Egon Schiele im Leopold Museum – und das erneute Gefesseltsein von deren Ausdrucksstärke. Nach der “Entdeckungsausstellung” im Jahre 2012 folgte drei Jahre später die Sonderausstellung, die sich schwerpunktmäßig mit ihm und seiner Gefährtin und seinem Modell Wally Neuzil beschäftigte, und aktuell die Jubiläumsschau anlässlich seines 100. Todestages.
“Ich bin Mensch, ich liebe den Tode und liebe das Leben.” Dieses Zitat Schieles spiegelt sich in seinen Bildern wider: Das Thema Liebe in verschiedenen Variationen – von den inszenierten Selbstportraits in oft schonungsloser Ausdrucksform, über die Sinnlichkeit / Sexualität ohne romantische Verzierungen bis hin zu seinem ambivalenten Verhältnis zur Mutter speziell und dem Verhältnis Mutter-Kind allgemein – ist ein zentrales Motiv in seinen Werke. Dem gegenüber steht für Schiele die Fragilität unserer Existenz, der Übergang vom Leben zum Tod und die Suche nach Offenbarung.
Einen weiteren Schwerpunkt der Ausstellung bilden Schieles häufig wenig bekannten Landschaftsbilder: Bemerkenswert ist dabei, dass die meisten Stadtansichten aus einer leichten Vogelperspektive heraus abgebildet sind. Zu dieser ungewöhnlichen Perspektive gesellt sich Schieles Faszination für Einzelheiten wie die Strukturen von Mauern und Dächern. Dabei verwandeln sich – mit ein wenig Fantasie – die Gebäude in schwer fassbare Organismen, deren Gliedmassen in komplizierten Verschränkungen Halt suchen, Metapher für die menschliche Existenz. Besonders deutlich wird dies in seinem Bild «Kleiner Baum im Spätherbst», das Gehölz in Gestalt eines Figurenbildes, die Darstellung eines bedrohten Körpers in unwirtlicher Umgebung.
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