1. Tag
Gegen 15:00 verließen wir unsere temporäre Heimstätte bei Bad Schandau und erreichten den Abzweig zum Steinbruch im Elbsandsteingebirge. Der doch recht abenteuerliche Weg war mit Sandsäcken und einer Schranke versperrt. Während wir die Sandsäcke schnell zur Seite tragen konnten, gestaltete sich das Öffnen der eisernen Barriere zunächst als schwierig, da man vergessen hatte, uns den entsprechenden Schlüssel zur Verfügung zu stellen. Dank handwerklichen Geschicks schafften wir es dennoch und erreichten unseren Arbeitsplatz für die nächste Woche: Fast in einem Kreis waren zahlreiche Steinblöcke aufgerichtet, auf denen wir unser Werkstück platzieren und bearbeiten konnten. Daneben befindet sich ein Werkzeugschuppen und ein altersschwacher Bauwagen, wo wir unsere Utensilien deponieren konnten. Dazu gab es noch ein Plumps-Klo in geruchsneutraler Entfernung.
Unsere zu bearbeiteten Steine lagen natürlich nicht mundgerecht herum, vielmehr hatte S., unsere Kursleiterin, drei große Blöcke erworben, die zunächst wunschgerecht zerstückelt werden mussten. Hierbei half uns der lokale Schmied mit unglaublichem Geschick und bewundernswerter Kraft: Zunächst schlug er in einem Abstand von circa 10 Zentimeter mit einem Meißel Löcher entlang der gewünschten Bruchstellen. In diese Löcher trieb er mit Papier umhüllte abgerundete Keile, die er abwechselnd tiefer schlug, bis sich ein Riss gebildet hatte. Der Abbruch vollzog sich in zwei Varianten: Entweder das Wunschstück löste sich mit Macht, dann sollte man sich rechtzeitig in Sicherheitsabstand bringen, oder man konnte vorsichtig die Keile entfernen und das Werkstück mit einem Stemmeisen herauslösen. Anschließend hieften wir die Objekte der Begierde auf eine Sackkarre und transportierten sie zu unseren Arbeitsplätzen; ein Hintragen war aufgrund des Gewichts völlig unmöglich. Zu Dritt oder zu Viert wuchteten wir schließlich die Rohlinge auf unsere bis zu 70 Zentimeter hohen Arbeitsplätze.
Zunächst wirkten die Werkstücke riesig, obwohl ihre Volumina sich alle um einem halben Kubikmeter bewegten. Mein Teil ist ursprünglich 45x50x25 cm groß gewesen. Das fertige Objekt wird um einiges kleiner und damit leichter sein; schließlich muss es ja auch noch nach Hause transportiert werden.
Jeder von uns bekam von S. einen kleinen Werkzeugkasten, der u.a. einen Bleistift, ein Lineal, zwei Eisenhämmer von unterschiedlichem Gewicht, einen breiten Holzhammer sowie diverse Pinsel enthielt. Die notwendigen Meißel und Eisen in allen Variationen lagen zur Auswahl zentral bereit. Arbeitshandschuhe hatte jeder mitgebracht, eine unbedingt notwendige Arbeitsbrille konnte man bei Bedarf ausleihen.
Voller Tatendrang machten wir uns alle an die Arbeit, obwohl nicht mehr viel Zeit bis zum geplanten Feierabend um 18:30 Uhr blieb. Mein erster Arbeitsschritt war zunächst das Herstellen der ebenen Bodenplatte meiner geplanten Skulptur, eine erste Herausforderung, denn dieser Teil des Steins wies tiefe Furchen auf. S. gab mir zunächst einige Tipps für das Bearbeiten, und dann legte ich los! Es ist ein faszinierendes Gefühl, aus einem massiven Stein mit seiner eigenen Kraft und Geschicklichkeit Teile herauszulösen.
2. Tag
Im stillgelegten Steinbruch angekommen, machte sich jeder sofort an seine Arbeit. Meine Tätigkeit am Vormittag bestand darin, den Rohling in die gewünschte Form zu bringen. Zunächst musste an der einen Seite eine etwa bis zu 5 Zentimeter tiefe Kieselsteinformation großflächig beseitigt werden. Als Werkzeug hierfür nahm ich einen breiten Meißel (Prelleisen), den ich in einem circa 45 Grad-Winkel ansetzte und – nachdem ich mit leichten Schlägen eine Furche gebildet hatte – mit kräftigen, aber verhaltenem Rhythmus-Schlägen in den Stein hineintrieb. Es lösten sich daraufhin größere Teile des Rohlings. Man nennt diesen Vorgang “Prellen”. Anschließend glich ich mit dem normalen Flacheisen grobe Unebenheiten aus. Nach dem gleichen Prinzip verfuhr ich auf der Rückseite des Steins, denn dessen Breite erschien mir zu groß für mein Skulptur-Projekt. Am Ende passierte mir aber ein Missgeschick, als ich mit einem falschen Eisenansatz vom Boden des Rohlings ein großes Stück abschlug. Dies zwang mich dazu, das Werkstück herumzuwuchten und den neuen Boden zu begradigen. Diese Unachtsamkeit kostete mich eine Stunde Extraarbeit!
Nach dem Mittagessen und einer kurzen Ruhephase konnte ich endlich mit der konstruktiven Arbeit an meinem Werkstück beginnen: Zunächst mittelte ich den Stein mit dem Bleistift in vier Teile, was mir anschließend half, die Figur in den richtigen Proportionen grob aufzuzeichnen. Nachdem S. den Entwurf begutachtet und Nuancierungen vorgenommen hatte, begann ich mit der kreativen Arbeit: Zunächst mussten die beiden Arme der Umschlungenen herausgearbeitet werden, indem die angrenzenden Flächen vertieft werden. Dieser Vorgang machte mir die prinzipiell umgekehrte Reihenfolge im Vergleich zur Entstehung einer Knet-Skulptur deutlich. Bei diesem Rohstoff gestalte ich das Objekt von Innen nach Außen; dementsprechend kann ich Modifikationen an der Gestalt vornehmen. Beim Stein muss ich mich von Außen nach Innen vorarbeiten, d.h. ich muss die Gestalt schon vorher räumlich gesehen im Kopf haben, denn nachträgliche Veränderungen sind bei dieser Erschaffung nicht möglich.
Am Ende des Tages konnte ich bei meinem Objekt schon eine gewisse Form erahnen, was mich für die müden Knochen und wehen Hände entschädigte.
3. Tag
Meinen Fingern und Händen taten die Nachtruhe sehr gut, sodass ich frohen Mutes diesem Arbeitstag entgegensehen konnte. Am Vormittag ebnete ich zunächst die Bodenplatte, denn mein Werkstück stand doch recht wacklig, und ich benötigte stets einen Holzkeil, um ihm die nötige Stabilität zu verleihen. Anschließend konnte ich eine neue Phase der Skulpturenerschaffung beginnen,der Gestaltung: Bei all diesen Veränderungen stand ich in stetigem Kontakt zu Kursleiterin. Alleine hätte ich es nie geschafft, sowohl im Hinblick auf das Aussehen als auch die anzuwendende Schlagtechnik und das entsprechende Werkzeug.
Ich begann mit der Ausgestaltung der einzelnen (Körper)Teile. So gestalte ich die Arme, die bisher wie herausstehende Kästen wirkten, mit Rundungen und führte sie in bestimmte Haltungen durch Abschlagen überflüssiger Ränder. Nach dem gelieferten Mittagessen konzentrierte ich mich auf die Köpfe. Ich gab ihnen eine seitliche Rundung, um deren Haltung zu betonen und um Schulteransätze herauszuarbeiten. Es war faszinierend zu beobachten, wie durch wenige Schläge, bestimmten Körperteilen erste Lebenszeichen eingehaucht werden. Und obwohl jetzt die “Mühen der Täler” im Vordergrund stehen werden, die Grobarbeiten mit spektakulären Großflächen sind erschaffen worden, ist dies eine sehr spannende Phase, denn jetzt entscheidet sich, wie mein umschlungenes Paar aussehen soll, wie es zueinander steht, welche Haltung es einnimmt, nachdem das Thema selbst herausgeschlagen worden war.
S. machte unterdessen eine interessante Entdeckung: Der rumänisch-französische Bildhauer Constantin Brancusi verwendete in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts das gleiche Thema wie ich und schuf in vereinfachter Anordnung, manchmal in abstrakter Form, manchmal disproportional umschlungene Paare. Trotz ihrer wenig filigranen Ausprägung strahlen sie eine ungeheure Intensität aus. Daneben muss sich mein Entwurf aber nicht verstecken, zumal S. darin Nuancen entdeckt hat, die mir gar nicht bewusst gewesen waren. Vielleicht habe ich unbewusst Gestaltungsebenen gewählt und entsprechend geformt. Erstaunlich und bemerkenswert ist dabei sicher, wie schnell ich das Modell angefertigt hatte – in circa 1 Stunde war die Grundstruktur entwickelt und umgesetzt, wobei ich kein abstraktes Modell zuvor im Kopf hatte.
4. Tag
Heute stand die Feinabstimmung der Skulptur auf dem Programm: Zunächst musste ich die Rückfront des Steins bearbeiten, denn die war krumm und schief mit Beulen. S. zeigte mir einen handwerklichen Kniff zur Begradigung von Flächen, indem man an den Rändern mit dem Flacheisen eine Furche schlägt und anschließend mit dem Spitzeisen eine Gerade schlägt – mit dem Ziel, dass man von einer Seite aus die andere Seite sehen kann.
Nach dem Mittagessen wurden die Gesichter der Liebenden geformt. Ich habe mich entgegen meines Entwurfs für eine andere Kopfhaltung entschieden – eher “cheek to cheek” als einander anschauend. Irgendwie passt es auch besser und scheint einfacher zu realisieren. S. erstellte weitgehend das Männergesicht, während ich anschließend den Frauenkopf modellierte. Die Meisterin war sehr zufrieden und gestand mir, dass sie anfangs große Bedenken hatte, ob ich diese Skulptur aufgrund der Differenziertheit modellieren könne. Nun sei sie erleichtert, dass ich es gepackt habe! Sie war voll des Lobes – das tat gut!
Nach dem Vesper nahm ich noch einige kleinere Modifikationen vor, indem ich Oberflächen glättete und Unebenheiten ausglich. S. bot an, die Skulptur mit Erdfarben zu kolorieren – ich bin nicht abgeneigt!
5. Tag
“Nach den Mühen der Berge kamen heute die Mühen der Ebenen”, sprich es wurde viel Kleinkram an der Skulptur modifiziert. Die meiste Zeit verbrachte ich an den Armen der Liebenden. Sie waren immer noch recht klobig und unförmig; dabei hatte ich mit einem besonderen Problem zu kämpfen: Im Stein ist im Bereich der Arme eine Kieselsteinablagerung, die butterweich ist, sodass eine normale Bearbeitung dieser Stelle mit einem Eisen nahezu unmöglich ist. Hier ist äußerste Vorsicht angesagt! Der nächste Arbeitsschritt an den Armen war die Beseitigung der Riefen, die durch meine Grobarbeit mit dem Zahneisen entstanden waren. Das ist zeitraubend und verlangt viel Fingerspitzengefühl.
Außerdem habe ich noch an folgenden Körperteilen Modifikationen vorgenommen: Heraushebung des Halses beim Mann sowie Beseitigung des Buckelansatzes, Zurücksetzung des Haaransatzes bei der Frau sowie deren Schulterrückbildung.
Insgesamt ist es eine faszinierende Erfahrung, aus einem groben Stein eine doch recht filigrane Figur zu modellieren. Ich wundere mich da auch über mich selbst, wie viel Energie und vor allem Geduld ich bei diesem Prozess aufbringe. Da ist nichts mit Husch-Husch, aber was bleibt mir auch anderes übrig – abhauen geht nicht, und eine Blöße gegenüber den anderen will ich mir auch nicht geben.
6. Tag
Heute habe ich die Arbeit an meiner Skulptur beendet! Zunächst habe ich noch geringfügige Modifikationen vorgenommen, bevor sich S. der Gesichter der Liebenden nochmals angenommen hat. Es ist faszinierend und beeindruckend, wie sie mit wenigen Schlägen Nuancen an den Gesichtern hervorbringt. Mir blieben nur Bewunderung und minimalistische Korrekturen übrig. Anschließend machte ich das Werk staubfrei, zunächst per Handfeger, dann pustend und schließlich abwaschend.
Nach dieser Reinigung ergab sich eine unbeschreibliche Veränderung: Es zeigten sich eisenhaltige Stellen und andere Felsformationen, die zuvor verdeckt waren. Es entstanden dadurch neue Muster und damit Interpretationsspielräume, zum Beispiel ein brauner Schweif durch die Liebenden als verbindendes Band. S. und ich waren von dieser Veränderung so fasziniert, dass wir den ursprünglichen Plan, die Skulptur zu kolorieren, ohne Umschweife aufgaben, denn dies hätte den Gesamteindruck in unseren Augen geschmälert. Die einzige Veränderung, die ich noch vornahm, war das Entfernen einer brösligen Kieselschicht an der Frauenseite, um den eigentlichen Stein hervorkommen zu lassen.
Fazit: Dieser Kurs hat mich motiviert, mich im kommenden Jahr an einem abstrakten Modell zu versuchen!
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