Es waren mehrere glückliche Zufälle, die uns in den Ort Loro Cuiffenna verschlugen. Da war der Tipp einer Ex Kollegin, ein preiswertes, aber dennoch ansprechendes Angebot auf einem Internetportal zu entdecken, und der positive Eindruck, den ich von der Einrichtung im Online-Portrait gewann. Dann war der angezeigte Preis unschlagbar, und es passte auch der Termin mit der Buchung und Bestätigung. Darüber hinaus entdeckten wir, dass in dieser Gegend auch die Handlung des von uns geschätzten Romans „Selina“ von Walter Kappacher spielt.
So gelangten wir nach einer kurzen Fahrt von Verona aus zu unserem Domizil Residence la Ferrera, ein Gebäudekomplex, der auf eine mehr als 100-jährige Geschichte zurückblicken kann. Ursprünglich war es wie der Name es suggeriert, im 19 Jahrhundert eine Fabrik, in der landwirtschaftliche Geräte hergestellt wurden. Dabei diente der Fluss, an dem die Anlage gelegen ist, unmittelbar als Energiequelle. Das steinerne Tor aus dem Jahre 1875 sowie die Schornsteine auf dem Dach sind noch Zeugnisse der damaligen Fabrik. Nach längerem Leerstand wurde der Gebäudekomplex in den 1990er Jahren in ein Feriendomizil umgebaut.
Der Ort Loro Ciuffenna kann auf eine lange, mehr als 2000 Jahre alte Geschichte zurückblicken. Es gibt Zeugnisse, dass sich die Etrusker hier um 200 vor Christus angesiedelt hatten. Seine Blütezeit erlangte der Ort um 1300, als die Republik Florenz der dominante Handelsort auf dem italienischen Kontinent war. Davon profitierte auch dieser Ort, insbesondere weil über die Brücke des Flusses Ciuffenna die Handelsstraße zwischen Florenz und Rom verlief. Zeugnisse der damaligen Blütezeit sind kaum noch vorhanden, lediglich die Kirche und das alte Stadttor. Von der Residenz der damaligen Adligen in diesem Ort gibt es leider keine Zeugnisse, aber es sind noch zahlreiche Häuser aus den vergangenen Jahrhunderten vorhanden, die ein imposantes Ensemble bilden, das sich an den Fluss quasi anschmiegt.
Der Roman von Walter Kappacher “Selina oder das andere Leben” motivierte uns eine Exkursion auf den Spuren des zentralen Charakters, des Gymnasiallehrers Stefan, zu unternehmen. Er versuchte in der Region des Valdarno, einer abseits des Tourismus gelegenen Region im Pratomagno-Gebirge, seinem Leben die erhoffte Wendung zu geben sowie über existentielle Fragen nachzudenken.
Einschränkend müssen zwei Dinge angemerkt werden: Der Zeitpunkt unserer Fahrt in der Nachsaison mag dafür verantwortlich gewesen sein, dass alle Stätten, die wir aufsuchten, keine Lebendigkeit ausstrahlten. Darüber hinaus litt unsere Fahrt durch die teilweise unter Naturschutz stehenden Wälder und zahlreichen Olivenhaine an Nieselregen, sodass tiefhängende Regenwolken die in Ansätzen erkennbare fabelhafte Aussicht auf das Tal des Arno verhinderten.
Erste Station war der Ort San Giustino, ein Ort, der einen eher deprimierenden Eindruck hinterlässt: Geschlossene bzw. verlassene Geschäfte und Häuser, deren Äußeres nach einer grundlegenden Renovierung verlangen. Einen kleinen Lichtblick bietet der Piazza, auf dem die Kirche von San Giustino und ein Gemäuer, das wahrscheinlich als Gemeindeofen dienen könnte, steht. Das schlichte Innere des Gotteshauses und die schmucklose Renovierung in den 60er Jahren lassen die Begeisterung jedoch in Grenzen halten.
Den Ort Gello Biscardo, in dessen Nähe sich die Hütte des Protagonisten befand, erreichten wir auf die einen serpentinenreichen Strecke, die Bezeichnung Straße hat dieses Buckelpiste kaum verdient. Das Dorf selbst schien verlassen zu sein, wir begegneten lediglich einer jungen Frau. Die Häuser, die insgesamt eine freundliche Atmosphäre ausstrahlten, schienen verlassen, zahlreiche Objekte standen augenscheinlich zum Verkauf. Man brauchte sehr viel Phantasie, um sich dort ein dörfliches Leben vorzustellen.
Steil aufwärts ging es anschließend nach Pontenano, eine echte Herausforderung angesichts des dichten Nebels. Den einzigen Menschen, denen wir dort begegneten, waren Bauarbeiter, die dort Leitungen verlegten. Die Ortsmitte mit seinem kleinen Piazza wird von der Kirche “Pieve di San Paolo“ aus dem 13.Jahrhundert dominiert, während am Ortsrand etliche architektonisch reizvolle Villen stehen, die aber zurzeit nicht bewohnt wurden; wahrscheinlich kommen die Bewohner nur an Wochenenden bzw. zur Urlaubszeit zu ihren Anwesen.
Auf dem Rückweg, wir verschoben einen Besuch Arezzos auf einen späteren Zeitpunkt angesichts eines aufkommenden Regenschauers, passierten wir Talla, überquerten den gleichnamigen Fluss und erreichten über Casavecchia unser Quartier in Loro Ciuffenna.
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